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Leitet der ‘türkische Frühling’ Erdogans Niedergang ein? Hoffentlich!


Cahit Kaya Recep Tayyip Erdogan

Veröffentlicht am Juni 4th, 2013 | von Cahit Kaya

 

4.6.2013, Kommentar. (Cahit Kaya) So hat es sich der Premierminister der Türkei und Chef der islamistischen AKP nicht vorgestellt. Erdogans Strategie die Protestierer der Öffentlichkeit als Extremisten zu präsentieren ging nicht auf, da ein nicht geringer Teil der Öffentlichkeit selbst zu den Protestieren zählte, oder mit diesen sympathisiert. Und weltweit solidarisieren sich immer mehr Menschen mit dem “türkischen Frühling”.

Der Protest der “Extremisten”

Im türkischen Fernsehen wurden Reden Erdogans gezeigt, wie er mit dem Extremismusvorwurf gegen die Proteste vorgehen wollte. Von sich überzeugt bezichtigte er die Protestierer nicht von den demokratischen Möglichkeiten Gebrauch zu machen und stattdessen auf Gewalt zu setzen.

Allerdings begann die Gewaltspirale sich zu drehen, als die türkische Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern auf Demonstranten losging, die für die Erhaltung des Gezi-Parks in Istanbul eintraten. Die Politik hatte beschlossen eine der wenigen Grünflächen Istanbuls abzuholzen, um dort ein umstrittenes Bauprojekt umzusetzen.

Gewaltsam hatte die Polizei versucht den zuerst harmlosen und kleinen Protest mit Polizeigewalt zu beseitigen. So wurde aus der kleinen Demo ein Massenprotest am angrenzenden Taksim-Platz. Und schon bald hatte sich auch die Opposition den Protesten angeschlossen. Aus dem anfänglichen Protest für die Erhaltung eines kleinen Parks wurde ein Volksaufstand gegen die als autoritär angesehene Politik Erdogans, der mit eiserner Hand das Land regiert.

Feindbild Erdogan und Islamisierung

Die Proteste zeigen wie viel Wut sich in den letzten Jahren innerhalb der Opposition angestaut hatte und jeder Anlass willkommen war, diese Wut endlich hinaus zu lassen. Die Demo im Gezi-Park war allerdings nicht der eigentliche Auslöser. Erdogan wird seit Jahren vorgeworfen das Land islamisieren zu wollen. Es besteht die Befürchtung, dass er schrittweise die Scharia einzuführen gedenkt.

Erst kürzlich wurde der Konsum und Verkauf von Alkohol stark beeinträchtigt und bei Verstoß gegen die Auflagen unter Strafe gestellt. So deutlich wurden die Befürchtungen noch nie bestätigt, gilt ein Alkoholverbot immerhin als eine der Merkmale der Scharia und das teilweise Alkoholverbot wurde auch als ein Versuch gewertet, die Scharia per Gesetz langsam einzuführen. Unter der autoritären Herrschaft Erdogans ist besonders auch die Pressefreiheit im Land stark eingeschränkt worden und oppositionelle Aktivisten und Journalisten müssen mit Haftstrafen rechnen, wenn sie diese Politik kritisieren.

Eingeschränkte Pressefreiheit

Regierungskritische Journalisten sind der ständigen Gefahr ausgesetzt durch einen Vorwand von den AKP-nahen Teilen der türkischen Justiz verfolgt und direkt ins Gefängnis verfrachtet zu werden. “Wer in der Türkei Journalist ist, riskiert sein Leben. International gilt das Land als eines der größten Gefängnisse für Medienmenschen”, schrieben etwa die “Reporter ohne Grenzen” vor wenigen Monaten in ihrem diesjährigen Bericht über die Pressefreiheit in verschiedenen Ländern.

Demokratische Möglichkeiten

Natürlich appelliert Erdogan an die Menschen, man möge “seine demokratischen Möglichkeiten” in Anspruch nehmen, um Kritik zu üben, so hat es sein Machtapparat einfacher einzelne Menschen aus dem Verkehr zu ziehen. Das war immer schon einfacher als ganze Massen zu kriminalisieren und zum Schweigen zu bringen, besonders dann, wenn diese Massen wehrhaft und zu kämpfen bereit sind.

Und wie viel Wert die AKP unter Erdogan auf Kritik und Demokratie legt, sah man in den letzten Jahren. Demokratie war immer ein Ärgernis und besonders der Laizismus galt als Hindernis auf seinem Weg der Machtergreifung. Berühmt ist sein Zitat eines Gedichts, in dem er betonte, dass die Demokratie nur der Zug sei, auf den man aufspringe bis man am Ziel ankomme. Und das Ziel ist die Scharia und die Herrschaft der Imame.

Angstfaktor Militär

In diesem aktuellen Fall tauchten in den sozialen Netzwerken auch immer wieder Fotos auf, wie türkische Soldaten sich mit den Protestieren solidarisch zeigten. Ob die Fotos echt sind oder nicht? Ich weiß es nicht. Aber eins ist sicher. Selbst wenn die Polizei und das Militär längst von islamistischen und der AKP nahe stehenden Gruppen unterwandert sind, so hat die Türkei eine lange laizistische Tradition, auf die sie zurück blicken kann.

Besonders das Militär sah sich als Hüter des Laizismus. Man mag zum türkischen Militär und seiner problematischen Vergangenheit stehen wie man will, aber es scheint nach wie vor die Macht zu haben Erdogan und die AKP einzuschüchtern.

Erdogans Autorität schwindet

Neuerdings verteufelt Erdogan Twitter, Facebook und andere soziale Netzwerke – die bisher stärkste und einzige Waffe der Opposition. Dort wurden die aktuellen Proteste organisiert und Infos ausgetauscht. Und von dort gingen viele Fotos um die Welt, ohne der türkischen Zensur zum Opfer zu fallen. Es ist damit zu rechnen, wann immer Erdogan erneut mit dem Finger auf andere Länder zeigt um sich dort als Beschützer der Minderheiten in Szene zu setzen, wird ihm dies zum Verhängnis werden.

Man wird ihm vorhalten mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen Demonstranten im eigenen Land vorzugehen. Wer kann einen Mann, der die eigene Bevölkerung so ihrer Menschenrechte beraubt ernst nehmen, wenn er andere dazu aufruft die Menschenrechte zu achten? Niemand, wirklich niemand!

Erdogan und die Demokratie

Dank dieser Proteste und der von Erdogan verteidigten Polizeigewalt haben nun weltweit Menschen die Möglichkeit den Unterschied zwischen seinen Worten und seinen Taten zu erkennen. Wenn es darum geht Macht an sich zu reißen und die Opposition, Presse- und Meinungsfreiheit zu schwächen, dann kann man ihm vertrauen, dass er dies mit aller Härte durchziehen wird. Wenn es darum geht mehr Demokratie einzuführen und Meinungsfreiheit zu stärken, dann gilt das nur für ihn und alle die auf seiner Linie sind, nicht aber für die Opposition.

Erdogans Rücktritt gefordert

Nicht umsonst nennen ihn seine Anhänger den “Lider”, was übersetzte nichts anderes Bedeutet als der Führer. Und das sollte uns an etwas erinnern. Wenn die Protestierer siegen, dann siegt auch die türkische Demokratie. Für den Islam fällt Erdogan fünf mal täglich auf die Knie. Für die Demokratie in der Türkei ist er nun das erste mal auf die Knie gefallen und hat trotz der Anschuldigungen gegenüber den Protestierenden Fehler der Polizei eingeräumt. Weil er dazu gezwungen wurde. Die neue Parole der Proteste lautet, Erdogan soll zurücktreten. Das wäre wohl das Beste, was der Türkei passieren könnte.

 

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Über den Autor

Cahit Kaya

Früher war ich Moslem, heute bin ich Humanist. Meine Schwerpunkte: Islam, Menschenrechte und Migration. Ich engagiere mich auch für die Initiative Ex-Muslime www.exmuslime.at



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