“Ob man sich wäscht oder nicht, hat nicht unbedingt mit dem Vorhandensein der Vorhaut zu tun”
Veröffentlicht am Juli 11th, 2012 | von Humanist News
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Wenn Dr. Peter Voitl nicht gerade Lesungen über Kinderheilkunde für Studentinnen und Studenten der Medizinischen Universität Wien abhält, ist er in der Kindergesundheitspraxis Donaustadt als Kinderarzt tätig. Im Interview sprechen wir mit ihm über die religiös und medizinisch bedingte Beschneidung bei Knaben.
Humanist News: Sie sind Leiter der Kindergesundheitspraxis Donaustadt. Auf Ihrer Website gehen Sie auch auf Phimose (Vorhautverengung ein). Wie häufig behandeln Sie Kinder aufgrund von Phimose?
Dr. Peter Voitl: Hier muss man unterscheiden: Die Vorhautverengung ist bei Kindern bis etwa zum Vorschulalter völlig normal und stellt keinen Grund für eine Behandlung dar. Die Vorhaut ist mit der Eichel im ersten Lebensjahr immer verwachsen und löst sich erst langsam in den folgenden Jahren ab. Das ist auch sinnvoll, denn dadurch kann kein Schmutz hineingelangen. Nur wenn dieser Ablöseprozess nicht vollständig erfolgt und man mit vier oder fünf Jahren noch eine deutliche Verengung feststellt, sollte eine Behandlung erfolgen. Außerdem dann, wenn es gehäuft zu Harnwegsinfekten oder Entzündungen in diesem Bereich kommt.
Dr. Peter Voitl: Ja. Es gibt die Möglichkeit, mit einer Salbe das Gewebe aufzuweichen und damit die Verengung zu beseitigen. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn die Vorhaut sich etwas zurückziehen lässt und man mit der Salbe die Schleimhaut erreichen kann. Bei einer starken Verengung bleibt nur der operative Eingriff
Was sagen die Statistiken dazu: wie viele Kinder leiden an Phimose und wie hoch sind die Erfolgschancen mit der Salbe?
Dr. Peter Voitl: Hier gibt es keine genauen Zahlen. Das liegt zum einen daran, dass jene Kinder mit Phimose, die mit der Salbe erfolgreich behandelt werden, nicht erfasst werden.
Zum anderen auch daran, dass die Operation auch häufig in Ordinationen durchgeführt wird. Die Erfolgschancen der Salbe sind generell sehr gut, wenn sie richtig angewandt wird und nur bei jenen Kindern Verwendung findet, bei denen die Vorhaut teilweise zurückziehbar ist
Wie sieht es in Österreich rechtlich aus. Dürfen auch Beschneidungen alleine aus religiösen Gründen vorgenommen werden?
Dr. Peter Voitl: Genitalverstümmelungen aus religiösen oder anderen nicht-medizinischen Gründen sind in Österreich nur bei Mädchen verboten.
Daher kann das bei Knaben durchgeführt werden, wird aber natürlich nicht von der Krankenkasse bezahlt.
Gegner der Beschneidung bei Kindern argumentieren, dass Knaben durch diese Prozedur traumatisiert werden können. Gibt es Hinweise auf mögliche psychische Folgeschäden der Kinder, wenn etwa die Eltern das Kind aus religiösen Gründen dazu zwingen wollen, oder das Kind sehr sensibel ist? Worauf müssen Eltern dabei achten?
Dr. Peter Voitl: Entscheidend hier ist die Reaktion der Eltern. Aus religiösen Motiven heraus Beschnittene werden häufig im Rahmen einer Zeremonie gefeiert und stellen damit quasi den Normalzustand her, den sie in der Familie täglich erleben. Auch Beschnittene aus anderen Gründen werden dann keine Probleme haben, wenn der Zustand nach der Operation als letztlich normal qualifiziert wird. Schwierig ist es immer dann, wenn die Kinder etwa von anderen Kindern darauf angesprochen werden dass dies anders aussieht und dass da etwas fehlt. Wie bei allen Eingriffen ist es also entscheidend, dass die Eltern die Kinder davor darauf vorbereiten und danach die Folgen mit ihnen besprechen. Dann ist keine Traumatisierung zu erwarten.
Bei meinen Recherchen bin ich auf hinweise auf mögliche Traumatisierungen gestoßen. Selbst offizielle Stellen des türkischen Gesundheitswesen warnen vor traumatischen Auswirkungen der Beschneidung. Kinder die vor dem Anblick der Messer flüchten, landen oft auf den Titelblättern türkischer Zeitungen. Unterschätzen Sie die (negativen) Auswirkungen auf die Kinderpsyche nicht?
Dr. Peter Voitl: Selbstverständlich kann man eine Beschneidung auch sehr traumatisch gestalten. Ich bin bei meinen Ausführungen von der Annahme einer ärztlichen Beschneidung in einer österreichischen Klinik ausgegangen, wo dies üblicherweise einigermaßen kindgerecht abläuft.
Gerade wenn diese Beschneidung aber von Laien in einem unischeren Umfeld durchgeführt wird, etwa auch unhygienisch und ohne Vorbereitung des Kindes, kann dies natürlich zu beträchtlichen Kastrationsängsten führen. Hier sind psychische Langzeitfolgen ebenso möglich wie echte Verletzungen am Penis.
Natürlich ist eine Genitalverstümmelung aus religiösen Motiven bei beiden Geschlechtern problematisch. Allerdings muss bedacht werden, dass diese Eingriffe wahrscheinlich auf jeden Fall erfolgen werden. Wenn es die Ärzte ablehnen, diesen Eingriff vorzunehmen, ist zu erwarten, dass er von Laien ohne Schmerztherapie und mit fragwürdiger Hygiene trotzdem durchgeführt wird. Daher könnte es das kleinere Übel sein, die derzeitige Regelung beizubehalten.
Sind Nebenwirkung wie Komplikationen während der OP, Nachblutungen oder psychische Folgeschäden zum jetztigen Zeitpunkt ausreichend dokumentiert?
Dr. Peter Voitl: Da die Beschneidung in einzelnen Kulturkreisen sehr häufig ist und in manchen Weltregionen nahezu 100 % der Buben umfasst, sind die Folgen recht gut dokumentiert. Es gibt keine wesentlichen Komplikationen wie etwa Nachblutungen und auch keine relevanten psychischen Folgeschäden. Allerdings ist auch das Pro-Argument der Hygiene nicht zutreffend – ob man sich wäscht oder nicht, hat nicht unbedingt mit dem Vorhandensein einer Vorhaut zu tun.
Was tun Sie in der Kindergesundheitspraxis Donaustadt, dass sich die Kinder bei Ihnen wohlfühlen?
Dr. Peter Voitl: Wir sorgen für eine kindgerechte und angstfreie Umgebung. Das beginnt damit, dass drei unterschiedliche Wartebereiche zur Verfügung stehen, um Säuglinge von möglicherweise infektiösen Kindern trennen zu können und um andererseits den größeren Kindern etwas Spielraum zu lassen. Selbstverständlich werden die Kinder selbst begrüßt, die nötigen Untersuchungen werden den Kindern erklärt, Impfungen werden durch einen Vereisungs-Spray schmerzarm durchgeführt und am Ende gibt es natürlich ein kleines Geschenk für die Kinder. Wir respektieren auch die Grenzen der Kinder – wenn eine Untersuchung nachhaltig abgelehnt wird, verschieben wir diese, wenn dies medizinisch möglich ist.
Vielen Dank für das Interview!
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