Religion ist nützlich. Ja und?


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Veröffentlicht am September 20th, 2012 | von Humanist News

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Ein Gastartikel von Harald Stücker

Offensichtlich gibt die Templeton-Foundation eine Menge Geld für Forschung aus, die zeigen soll, dass Religion evolutionär adaptiv ist. Das verstehe ich nicht. Also ich verstehe, warum es Auftragsforschung gibt. Ich verstehe z.B., warum RWE das RWI finanziert. Oder warum Claudia Witt von der Carstens-Stiftung bezahlt wird. Aber warum ist eine religiöse Lobby-Stiftung an einem Nachweis dafür interessiert, dass Religion eine evolutionäre Anpassung ist?

Eine Apologie der Religion sollte doch nachweisen wollen, dass (die eigene Version von) Religion wahr ist, oder? Welche Rolle spielt es da, ob Religiösität allgemein nützlich ist? Ob sie gesünder macht, zufriedener oder glücklicher und stressresistenter? Ob sie dazu führt, dass Gläubige mehr Kinder haben? Ob diese Kinder dann von Natur aus religiös sind?

Vielleicht ist Religiösität tatsächlich adaptiv. Vielleicht ist sie also nützlich. Ja und? Vielleicht ist sie aber auch nur ein Nebenprodukt einer anderen Adaption oder eine Exaptation oder eine Art Virus des Geistes. Ja und? Ich will nicht sagen, dass diese Fragen nicht von Interesse wären. Im Gegenteil. Aber sie sind irrelevant dafür, ob eine der vielen religiösen Geschichten wahr ist. Wieso also interessieren sich für diese Fragen Leute, die eigentlich bloß Propaganda für (ihre Version von) Religion auf der Agenda haben?

Wie sollte solch ein Argument auch aussehen? Religion ist eine Anpassung an eine Umwelt, … in der es Gott gibt? So platt kann es doch nicht gemeint sein. Oder: Wer an Gott glaubt, hat evolutionäre Vorteile, also existiert Gott!? Das ist ein unsinniges Non sequitur, liegt aber offenbar der triumphalen Geste zu Grunde, mit der diese Fakten oft angeführt werden.

Wenn Religiöse tatsächlich evolutionäre Vorteile genießen, dann sollten wir uns nicht darüber wundern, denn schließlich gibt es sie ja in großer Zahl. Aber auch diese große Zahl ist kein Argument für die Richtigkeit ihrer religiösen Überzeugung. Und zwar mindestens aus zwei verschiedenen Gründen.

Erstens ist eine diesseitige, areligiöse Weltanschaung für viele Menschen eine verhältnismäßig moderne Option. Religionen waren bis vor 150 Jahren beinahe konkurrenzlos als Option für eine sinnvolle Deutung der Welt. Das bedeutet aber natürlich, dass es verwunderlich ist, wie sich eine nicht-religiöse Weltanschauung so weit verbreiten konnte.

Zweitens gibt es nicht nur Religiöse in großer Zahl, sondern auch religiöse Theorien, die sich gegenseitig ausschließen. Also können sie nicht alle wahr sein.

Die (evolutionären) Vorteile religiösen Verhaltens liegen auf der Hand und sind eigentlich trivial: (Ich erlaube mir im Folgenden plakative Pauschalisierungen.)

  • Religiöse zeugen mehr Kinder, weil sie als Geschenk Gottes gelten (und daher Verhütung und Abtreibung verboten sind).
  • Religiöse zeugen daher auch früher Kinder als Menschen, die erst noch Zeit brauchen, sich darüber klar zu werden, ob sie diese Option wahrnehmen wollen.
  • Religiöse zeugen mehr Kinder, weil ihre Frauen nichts zu sagen haben. Sie werden gleich zu Beginn ihres fruchtbaren Lebensabschnitts verheiratet und sparen sich wertvolle Jahre der Suche nach Mr. Right sowie eine unsinnige Berufsausbildung.
  • Religiöse zeugen auch dann noch Kinder, wenn die ersten bereits an Hunger oder Seuchen gestorben sind, weil sie auf Gott vertrauen.
  • Religiöse zeugen auch dann noch Kinder, wenn die ersten bereits an Hunger oder Seuchen gestorben sind, weil ihre Religionsführer ihnen auch dann noch die Verhütung verbieten.
  • Religiöse erhalten die göttliche Anweisung, alle ungläubigen (=andersgläubigen) Männer zu töten und ihre Frauen zu schwängern (Bibel, 4. Buch Moses 31, 17-18; auch die Sure 4, 24 im Koran erlaubt den Sex mit Sklavinnen aus Kriegsbeute).
  • Religiöse erhalten die göttliche Anweisung zur Mission durch Wort und Schwert. Dadurch werden Christenheit und Umma immer größer.

All diese Vorteile genießen Religiöse auch dann, wenn ihre Religion falsch ist. Nichts von alledem kann also als Argument für die Wahrheit einer spezifischen religiösen Theorie dienen.

Es ist z.B. offensichtlich so, dass Kinder die Welt zunächst teleologisch, zweckgerichtet wahrnehmen. Aber was folgt daraus? In seiner Dokumentation „Faith school menace“ geht Richard Dawkins auf diese Tatsache ein. (Siehe ab etwa Min. 1:30.) Er bezeichnet Kinder sogar als “natürliche Kreationisten” (Min. 4:20).

Es besteht also kein Zweifel daran, dass Kinder zunächst zu religiösen Erklärungen neigen. Vernunft, Logik und die Fähigkeit zu wissenschaftlichem Denken entwickeln sich. Es ist, wenig überraschend, ein Reifeprozess. Aber irgendwann wird der Mythos vom Weihnachtsmann durchschaut.

Dieser Befund steht nicht im Gegensatz zu einer der zentralen Aussagen des sogenannten „Neuen Atheismus“, nämlich dass es ebensowenig christliche, sunnitische, schiitische oder jüdische Kinder gibt wie es christdemokratische, sozialdemokratische, grün-alternative oder liberale Kinder gibt.

Und daraus folgt auch keinesfalls, dass irgendeine religiöse Theorie richtig ist. Es folgt lediglich, dass Religionen in der Erziehung einen unverschämten Vorteil genießen. Und es folgt – ganz im Gegenteil zu religiösen Ansprüchen – dass es Aufgabe von Bildung und Erziehung sein muss, diesen natürlichen Nachteil für die wissenschaftliche Bildung auszugleichen.

Es sollte inzwischen klar geworden sein, dass Argumente für die Natürlichkeit oder für evolutionäre Vorteile von Religiösität der Religion selbst tatsächlich einen Bärendienst erweisen: Sie erklären das psychische Phänomen Religiösität, und damit auch das soziale Phänomen Religion! Damit ist es als natürlich diesseitig und wenig erstaunlich eingetütet.

Bei Templeton denkt man vielleicht: Wenn der Glaube an Götter durch Viren des Geistes verursacht ist, wenn er keine Anpassung ist, dann gibt es keinen Grund, ihn für wahr zu halten. Allerdings: Wenn der Glaube an Götter adaptiv ist, gibt es deswegen nicht einen Grund mehr, ihn für wahr zu halten! Offenbar ist es ein Fehler, wenn sich Religionsapologeten überhaupt auf den evolutionslogischen Diskurs einlassen. Denn hier geht es nur noch um Adaptationen und Exaptationen, um Repräsentationen und erweiterte Phänotypen, um Meme und Memplexe. Dieser Diskurs ist sehr immanent und es führt kein Weg zurück in die heimelige Transzendenz der Theologie. Aber echte Gläubige wollen einen echten Gott in einer echten Transzendenz. Es interessiert sie wahrscheinlich nicht wirklich, ob sich unsere Hirne so entwickelt haben, dass religiöse Vorstellungen ihrer Verbreitung dienlich sind.

Vielleicht sollte Templeton lieber nach den evolutionären Vorteilen des Atheismus forschen lassen. Solange nichts für seine Nützlichkeit spricht, bleibt er ein Rätsel. Vielleicht ist er ja einfach wahr?

 

Tags: Evolution, Gehirn, Gene, , Harald Stücker, Natur


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