Beschneidungsdebatte: warum Religion keine Gesetze machen kann
Veröffentlicht am November 7th, 2012 | von Cahit Kaya
27Ein Gastkommentar von Stefan Schritt
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Einwanderungsland. Nicht wie die USA, die erst durch Einwanderung entstanden, sondern durch Gastarbeiter, die sich entschieden zu bleiben, durch Flüchtlinge, die Schutz vor Verfolgung suchten, durch ehemalige Besatzungssoldaten, die hier eine neue Heimat fanden, und viele Andere, denen es bei uns lebenswert erschien.
Mit der Vielzahl der neuen Mitbürger kamen auch andere Religionen. Das die vielen verschiedenen Religionen hier unter einem Dach friedlich koexistieren können, verdanken sie der im Grundgesetz verankerten Religionsfreiheit. Ein Luxusgut, daß in vielen Ländern der Welt auch heute noch in weiter Ferne liegt. Das Recht, seinen Glauben ausüben und leben zu dürfen, kann nur deshalb existieren, weil es die Freiheit der Religion nicht nur garantiert, sondern zugleich einschränkt. Das mag auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirken, aber ein Blick in die heiligen Texte der Gläubigen offenbart schnell den Grund.
So findet sich in der Bibel – Jesaja 40, 15-17: Siehe, die Heiden sind nicht mehr wert als ein Tropfen, der im Eimer zurück bleibt oder ein Rückstand in einer Waagschale…. Sie gelten nichts vor Gott. – Zephania 2, 11-12: Gott wird über sie (die Heiden) herziehen. Er wird alle anderen Götter vertilgen, damit alle nur ihn anbeten. Auch die Mohren (also Afrikaner, Schwarze) sollen durch sein Schwert erschlagen werden.
Im Koran lesen wir Sure 2, Vers 191: “Und erschlagt sie (die Ungläubigen), wo immer ihr auf sie stoßt, und vertreibt sie, von wannen sie euch vertrieben; denn Verführung [zum Unglauben] ist schlimmer als Totschlag. …“ Sure 8, Vers 12: „ … Wahrlich in die Herzen der Ungläubigen werfe ich Schrecken. So haut ein auf ihre Hälse und haut ihnen jeden Finger ab.“
Hier haben wir ein Problem – zwei monotheistische Religionen, und beide können aus ihrer heiligen Schrift entnehmen, daß ihr Gott der einzig wahre und richtige ist. Mehr oder weniger deutlich damit verbunden ist die Aufforderung, Andersgläubige auszurotten. Wie die Geschichte uns lehrt, ist dies auch mit viel Inbrunst betrieben worden. Seien es
die Kreuzzüge oder die Verbrennung von Ketzern im Mittelalter, religiös motivierte Kriege oder die Terroranschläge der Neuzeit. Immer wieder haben Menschen in ihrer heiligen Schrift Gründe gefunden, Andersgläubige zu töten.
Das führt uns wieder zurück zu Religionsfreiheit. Wäre diese unbegrenzt, so würde man Fanatikern auf allen Seiten Freibriefe für Mord, Vergewaltigung, Sklaverei, Unterdrückung und allerlei weitere Gräueltaten ausstellen. Ein mehr als notwendiger Schritt also, die Freiheiten zur Ausübung der Religion anderen, säkularen Werten zu unterstellen.
Bei uns sind diese Werte und Rechte im Grundgesetz verankert, und die Religionsfreiheit findet an ihnen ihre Grenzen. Sobald die Freiheit zur Ausübung der persönlichen religiösen Überzeugungen die Rechte eines anderen beeinträchtigt, muss sie hinter diesen zurückstehen.
Somit kann man feststellen, daß von allen Grund- und Menschenrechten das auf die Ausführung religiöser Vorschriften an letzter Stelle steht. Nur wenn die Rechte anderer dadurch nicht beeinträchtigt werden, kann es wahrgenommen werden.
Die säkularen Werte und Rechte bilden einen Sockel, der frei von religiösen Vorstellungen bleiben muss, um die Koexistenz unterschiedlicher Weltanschauungen möglich zu machen.
Doch genau dieser Sockel ist es, der derzeit ins Wanken gebracht werden soll. Die Politiker unseres Landes sind im Begriff, ein Gesetz zu erlassen, das religiöse Vorstellungen über die Grundrechte anderer Menschen stellt, und somit die Basis der Religionsfreiheit, die es vorgeblich schützen soll, zu zersetzen droht. Es geht um den geplanten Paragraphen 1631d BGB. Im Gesetzentwurf, der dem Bundesrat vorliegt, wird den Eltern das Recht eingeräumt, ihre männlichen, noch nicht einwilligungsfähigen Kinder beschneiden zu lassen, ohne daß eine medizinische Indikation vorliegt. Hiermit soll gewährleistet werden, das religiös motivierte Beschneidungen nicht mehr als Körperverletzung geahndet werden können, wie dies unlängst in einem Urteil des LG Köln geschehen ist. Doch was stellt eine Beschneidung für den Betroffenen dar, wenn man sie vom oben erwähnten Sockel säkularer Rechte aus betrachtet ? Zum ersten eine Körperverletzung, denn es wir ein gesundes, funktionsfähiges Stück des Penis abgeschnitten, die Vorhaut. Dies steht im Widerspruch zum Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Zum zweiten ist es eine Veränderung des sexuellen Empfindungsvermögens, denn es werden hierbei 60-80% des sensorischen Gewebes amputiert – rund 20.000 Nervenenden. Dies nimmt dem Betroffenen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Zum dritten gilt dies Gesetz nur für Jungen, denn die Beschneidung an Mädchen bleibt weiterhin – ungeachtet des Schweregrades – ausnahmslos Verboten. Somit wäre dann auch das Recht der Jungen auf Gleichbehandlung nicht mehr wirksam.
Es werden den betroffenen Jungen also 3 Grundrechte – die, wie oben beschrieben, über der Religionsfreiheit stehen – aberkannt, um es den Eltern zu ermöglichen, ihre persönliche Religionsfreiheit ausleben zu können. Man muss kein Rechtsgelehrter sein, um die Widersinnigkeit dieses Vorhabens zu erkennen. Die säkularen Grundrechte, die eine durchführbare Religionsfreiheit überhaupt erst möglich machen, der Religionsfreiheit zu opfern und diese dadurch ihres Sockels zu berauben stellt das ganze System des säkularen Staates in Frage, und damit auch die Religionsfreiheit selbst.
Und das ist der Grund, warum Religion keine Gesetze machen kann.
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