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Transhumanisten – Humanistische Nerds oder Pioniere der Philosophie?


Wissenschaft DESK

Veröffentlicht am Juni 21st, 2012 | von David Becker

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Der Mensch als des Menschen Ingenieur.

Woran denken wir, wenn wir über Privateigentum sprechen?

Geld? – Ja sicher!

Ein Haus, ein Auto, ein Grundstück? – Selbstverständlich!
Denken wir an einen Menschen?

Spätestens mit Abschaffung der Sklaverei sollte es allgemeiner humanistischer Konsens sein, dass ein Mensch keinem anderen Menschen gehören kann, es sei denn, beide wollen es so. Das aber ist eine andere Frage. Unsere Frage soll lauten: Wem gehört aber nun das Individuum?

Richtig: sich selbst. Mein Körper ist mein fundamentalstes Eigentum, über welches ich und nur ich das alleinige Bestimmungsrecht habe. Zumindest so lange, wie ich mit seinem Gebrauch keine Rechte anderer Menschen ohne deren Einwilligung verletze. Und damit sind wir mitten im transhumanistischen Diskurs.

Transhumanismus. Das klingt zunächst einmal wie Sience-Fiction. Und sofort zieht vor dem inneren Auge eine Armee der Borg an einem vorüber – organische Wesen, modifiziert durch alle möglichen technischen Implantate, die ihre naturgegebenen Fähigkeiten verbessern oder zumindest verändern. Die Autoren von Zukunftsgeschichten waren nicht sparsam darin, Schreckensszenarien zu entwerfen, die Realität werden könnten, wenn der Mensch in seine eigene Natur eingreift und beginnt, sich grundlegend zu wandeln. Alles nur dystopische Panikmache?

Tatsächlich verfolgt der Transhumanismus nicht weniger als das, was StarTrek uns da präsentiert: Die vollständige, kontrollierte Umgestaltung des menschlichen Lebens durch konsequente Anwendung aller zur Verfügung stehenden technologischen Möglichkeiten. Oder, wie es der britische Biologe und Philosoph Julian Huxley in seiner gewohnt zukunftsoptimistischen Art und Weise ausdrückte: „Mensch, der Mensch bleibt, aber sich selbst, durch Verwirklichung neuer Möglichkeiten von seiner und für seine menschliche Natur, überwindet.“
Dabei jedoch stets nach humanistischen Grundsätzen. Sprich: jeder Mensch entscheidet selbst, was er mit seinem Körper anstellt, und darf dies wiederum so lange tun, wie er damit keinem anderen Menschen schadet.

Nun gehört jedoch nicht allein die Bionik zu diesen neuen „Möglichkeiten“, sondern auch eine andere, viel mächtigere Technologie: die Gen-Technik.
Mächtiger aus dem Grund, da genetische Veränderungen, die auf einen Organismus umfassend wirken sollen, in den meisten Fällen innerhalb der Keimbahn durchgeführt werden müssen. Idealer Weise direkt an der Eizelle kurz vor, während oder nach der Befruchtung. Also eine Erweiterung der sogenannten Keimbahn-Therapie zum Genetic-Enhancement.

Und hier beginnen die eigentlichen Probleme, denn eine Eizelle ist in der Regel nicht in der Lage, selbst darüber zu entscheiden, ob man ihre Basensequenzen verändern soll oder nicht. Biologisch betrachtet ist die Eizelle Teil des Mutterkörpers, sie untersteht also allein dem Besitz der Mutter und wenn diese einen Eingriff wünscht, dann dürfte man ihr diesen nicht verweigern.

„Aber halt“, mag jetzt manch einer denken, „aus der Eizelle wird doch später mal ein Kind. Und wird in dessen Rechte nicht eingegriffen?“
Im Prinzip ist dies ein zulässiger Einwand aber was wäre die Alternative? Verbieten wir der Mutter, ihre Eizelle genetisch manipulieren zu lassen, nur um potentielle Gefahr für nachfolgende Generationen abzuwenden? In diesem Fall würden wir ihr das Besitzrecht über einen Teil ihres Körpers nehmen und hätten damit einen Präzedenzfall für weitere solche Rechts-Einschränkungen.

Was käme dann als nächstes? Verbieten wir Menschen mit genetisch bedingten Behinderungen die Fortpflanzung, weil sie dadurch eine potentielle Gefahr für ihre Kinder darstellen? Kreieren wir damit einen „Normalzustand“ des Menschen, anhand dessen wir für alle Mitglieder der Gesellschaft festlegen, wie ein Mensch sein soll und wie nicht? Etablieren wir dadurch den Begriff der „Volksgesundheit“, nach dem sich die Menschen bei ihrer Vermehrung richten müssen, so wie es bereits durch das Verbot von Inzest geschehen ist?

Interessanterweise würden diese Gegenmaßnahmen auf den selben Argumenten fußen wie die Argumente eines radikaleren Zweiges der Transhumanisten. Jene, die es nicht nur als Empfehlung, sondern gar als Pflicht ansehen, den Menschen permanent hinsichtlich körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit zu optimieren.  Dies würde zwangsläufig die Forderung nach positiv- und negativ-eugenischen Sozialprogrammen beinhalten, wobei sich die radikalen Transhumanisten in diesem Fall immer noch, aufgrund ihres Individualismus, von klassischen Eugenikern unterscheiden würden.

Die neuen technologischen Möglichkeiten fordern der Menschheit ganz neue Wege der Problemlösung und des Denkens ab. Daraus entstehen Gefahren aber dies ist kein Grund für eine generelle Panikmache, denn das Potential ist groß und sowohl positiv als auch negativ. Wir werden uns irgendwann in einer Welt wiederfinden, in der befruchtete Eizellen hinsichtlich ihrer genetischen Dispositionen für Intelligenz, Gesundheit und physischer Leistungsfähigkeit von Menschenhand selektiert werden. Es wird für uns eines Tages Routine sein, in das Erbmaterial des Menschen einzugreifen, seine kognitive und physischen Eigenschaften zu steigern, Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie Körpergröße und Geschlecht nahezu beliebig festzulegen.

Die Transhumanisten sind also keine realitätsfernen Nerds, keine abgehobenen „Götter in Weiß“, keine größenwahnsinnigen Dr. Frankensteine. Vielmehr leisten sie eine wichtige philosophische Vorarbeit und einen unverzichtbaren Beitrag für die Menschheit, mit realen Problemen kritisch und dennoch unvoreingenommen umzugehen.
Sie komponieren bereits heute die Melodie der Zukunftsmusik mit humanistischen Noten. Darin sollte man sie unterstützen, nicht behindern.

 

Tags: Eugenik, , Technologie, Transhumanismus, , Zukunft


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