Österreich: ein säkularer Staat mit Schönheitsfehlern
Veröffentlicht am Juni 24th, 2012 | von Cahit Kaya
0Vor drei Jahren entschloss sich ein niederösterreichischer Vater Beschwerde gegen einen öffentlichen Kindergarten in Niederösterreich einzulegen, den seine konfessionsfreie Tochter damals besuchte. Der Grund war die Anbringung eines Kruzifixes und die damit einhergehende Diskriminierung konfessionsfreier Kinder, durch Missachtung ihrer negativen Religionsfreiheit. Diese Diskriminierung ist auch im niederösterreichen Kindergartengesetz verankert.
Die “Initiative Religion ist Privatsache” engagiert sich für die Rechte Konfessionsfreier und die Abschaffung der einseitigen Privilegierung der Religionsgemeinschaften in Österreich und hat sich diesem Fall angenommen.
Zuletzt gab die “Initiative Religion ist Privatsache” auf einer Pressekonferenz bekannt, rechtlich gegen die auf Drängen der Katholischen Kirche angehobenen Höchstgrenze der steuerlichen Absetzbarkeit des Kirchenbeitrages auf jährlich 400 Euro vorzugehen. Bemängelt wird, dass trotz Finanzmarkt- und Eurokrise die Religionsgemeinschaften weiter hoch subventioniert werden, ohne sie ebenfalls zum Wohle der Allgemeinheit in die Pflicht zu nehmen.
Ferner wurde ein zweites Steuerverfahren mit einer nicht zu unterschätzenden potenziellen Tragweite bekannt gegeben: ein Antrag auf die Gewährung eines „Religionsfinanzierungs-Steuerabsetzbetrages“ wurde eingebracht mit dem Ziel, der einseitigen pro-konfessionellen weltanschaulichen Privilegierung in Österreich entgegenzusteuern.
Das Interview mit der “Initiative Religion ist Privatsache” führte Cahit Kaya
Humanist News: Die “Initiative Religion ist Privatsache” tritt in Österreich seit einiger Zeit für das Recht auf negative Religionsfreiheit und einen säkularen Staat in Erscheinung. Gab es einen konkreten Auslöser diese Organisation zu gründen?
Religion ist Privatsache (RIP): Bis zur Gründung der Initiative gab es in Österreich keine einzige Organisation, die nicht vor dem Hintergrund einer atheistischen Weltanschauung bzw. einer bestimmten (partei-)politischen Orientierung aktiv war. Die Initiative bietet hingegen einem breiten, nicht unbedingt konfessionsfreien, Publikum ein laizistisches Angebot an. Unseren Ausgangspunkt bildet also die Demokratie und die damit verbundene Wahrung der Grundrechte und nicht der Atheismus. Das bedeutet natürlich noch lange nicht, dass wir in dieser Hinsicht andere laizistische Organisationen negieren – ganz im Gegenteil. Vielmehr streben wir die Kooperation in laizistischen Projekten an. Der Anlass für die Gründung war, das erste “Kreuzverfahren” in Österreich.
Wie ging das (Kreuz)Verfahren aus?
RIP: Am 16.3.2011 urteilte der Verfassungsgerichtshof (VfGH), sehr kurz zusammengefasst, dass das Anbringen von Kreuzen in öffentlichen Kindergärten keinen unzulässigen Eingriff in die negative Religionsfreiheit von konfessionsfreien Eltern darstellt und daher rechtens sei. Im Inland wurde somit der Instanzenweg erschöpft. Folglich wurde aber der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ermöglicht. Am 14.9.2011 wurde auch eine entsprechende Beschwerde eingebracht. Ob der EGMR nun den Fall angenommen hat, war bisher nicht eindeutig herauszufinden, alle Indizien deuten aber darauf hin. Mit einem Urteil ist aber auf jeden Fall in den nächsten paar Jahren NICHT zu rechnen.
Was stört euch eigentlich an den Kruzifixen in den Klassenzimmern?
RIP: Das Anbringen von Kruzifixen in ÖFFENTLICHEN Schulen und insbesondere Kindergärten führt zu einem, entgegen den Ausführungen des VfGH, schweren Eingriff in die (negative) Religionsfreiheit der Eltern. Die Kinder werden tagtäglich (ausschließlich) mit einem religiösen Symbol konfrontiert, dem sie sich nicht entziehen können und dessen dominante Stellung aufgrund des Hoheitscharakters des Kindergartens multipliziert wird. Es wird dem 2,5-jährigen Kind eine Staatskirche vorgetäuscht. Nebenbei führt die vorliegende Regelung auch zu einem (ebenfalls verbotenen) Eingriff in die Privatsphäre der Eltern da die vorliegende Regelung die Erhebung der konfessionellen Zugehörigkeit der Eltern bzw. der Kinder voraussetzt.
Im niederösterreischischen Kindergartengesetz 2006 wird die Anbringung des Kruzifixes bei mehrheitlich christlichen Kindern vorgeschrieben. Sind diese Gesetze nicht insofern gefährlich, dass irgendwann auch muslimische Eltern auf die Anbringung islamischer Symbolik pochen könnten, wenn die Mehrheit der Kinder muslimischen Glaubens ist?
RIP: Aufgrund des Diskriminierungsverbots können solche Gesetze, je nach Mehrheitsverhältnissen, selbstverständlich zu einer Verschiebung der religiösen Privilegierung führen. Ob nun ein Kreuz oder ein anderes religiöses Symbol in einem öffentlichen Kindergarten (oder Schule) angebracht werden muss ist nebensächlich – es geht um die religiöse Bevormundung (auch Andersgläubiger).
Stört euch auch religiöse Bekleidung, wie das religiöse Kopftuch muslimischer Mädchen?
RIP: Das Thema religiöse Bekleidung und insbes. Kopftuch ist sehr komplex und daher schwer mit 1-2 Sätzen zu behandeln. Grundsätzlich gilt, dass im Rahmen einer pluralistischen Gesellschaft das Tragen religiöser Symbole zu dulden ist solange dies nicht zu einer überproportionalen Verletzung der Religionsfreiheit andersgläubiger (oder nichtgläubiger) führt.
Ist Österreich wie es heute ist ein säkularer Staat?
RIP: Österreich ist grundsätzlich ein säkularer Staat, es bestehen aber zahlreiche Schönheitsfehler, die in einem (demokratischen) Rechtsstaat auf Dauer nicht bestehen können. Insbesondere die finanzielle Privilegierung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sowie die Forcierung einer religiösen Weltanschauung im schulischen Bereich (Kreuze in Kindergärten/Schulen, Ethikunterricht als Ersatzpflichtgegenstand, religiöse [=katholische] Feiern) sind hier zu nennen. Weitere und weniger akute Fälle sind im Bereich Bioethikkommissionen, ORF-Programm und Feiertage zu orten.
Steht das Kreuz stellvertretend für eine “abendländische Kultur”?
RIP: Das Kreuz (und insbesondere das Kruzifix, das oft anstelle eines Kreuzes verwendet wird) ist im österreichischen Kontext primär als katholisches Symbol zu betrachten. Dafür spricht insbesondere die Kreuzikonografie der Gegenreformation. Es ist somit primär ein religiöses Symbol, das nicht stellvertretend für ein Land bzw. für eine Gesamtbevölkerung herangezogen werden kann. Stellvertretend für den ohnehin äußerst facettenreichen Begriff „Abendland“ kann das Kreuz nicht verwendet werden. Und zwar schon alleine aufgrund der nichtchristlichen Wurzeln dessen, was wir „abendländische Kultur“ nennen, sowie der manifesten fortgeschrittenen gesellschaftlichen Säkularisation. Der religiöse Charakter des Kreuzes kann aber auch anhand eines sehr einfachen Beispiels veranschaulicht werden: orthodox geprägte Länder, wie beispielsweise Griechenland, die sich zweifelsohne ebenfalls als Träger der abendländischen Kultur betrachten, kennen das Kreuz, so wie es in Österreich verwendet (und missbraucht) wird, nicht. Und schon gar nicht Kruzifixe, die im orthodoxen Raum als blasphemisch gelten. Trotzdem behaupten zahlreiche Griechen, dass IKONEN, stellvertretend für „das Abendland“, in öffentlichen Schulen und Kindergärten zu hängen haben. Anders wiederum Protestanten, die grundsätzlich eine Abneigung gegenüber dem (überwiegend katholischen) religiösen Fetischismus haben und das Kreuz im öffentlichen Raum, zumindest theologisch, eher ablehnen.
”Religion ist Privatsache” beschreibt sich selbst als eine Initiative die nicht Religion bekämpft, sondern das Recht frei und ungestört von Religion leben zu dürfen fördern will. Erhaltet ihr dabei auch von religiösen Menschen Unterstützung, die dieses Ansinnen durchaus verstehen und gut finden?
RIP: Die Antwort ist ein klares „Ja“. Die letzte Pressekonferenz der Initiative, beispielsweise, war in Kooperation mit den Jungen Liberalen (Julis), für die Elias von der Locht, ein engagierter Protestant, gesprochen hat. Es darf auch nicht vergessen werden, dass viele „Wir sind Kirche“-Sympathisanten ebenfalls ein durchaus laizistisch geprägtes Demokratieverständnis haben und genau diese Gruppierung soll als Partner – und nicht als Gegner betrachtet werden.
Danke für das Interview!