Eliyahu Ungar-Sargon: ein (Quer-)Schnitt durch die Beschneidungs-Mythen


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Veröffentlicht am Mai 7th, 2013 | von Redaktion Berlin

 

elijahu7.5.2013, Wien, Berlin, Los Angeles. (HN) Eliyahu Ungar-Sargon, 33 Jahre alt, Filmemacher, lebt in Amerika und wuchs in Israel als Sohn einer orthodoxen jüdischen Familie auf. Er hat 18 Jahre seines Lebens seinem Film „Cut. Slicing Through the Myths of Circumcision“ gewidmet, eine Dokumentation welche die Thematik der Beschneidung innerhalb der jüdischen Kultur und in Ungar-Sargons Familie intensiv aus medizinischer und menschlicher Sicht behandelt.

Der Film hatte und hat einen profunden Einfluss auf die amerikanische und auch internationale „Intaktivismus-Szene“. Ungar-Sargon selbst ist beschnitten und wird seine männlichen Kinder nicht beschneiden lassen.

Das Interview führte Anna Kühn für Humanist News.

Humanist News: Gab es einen Wendepunkt für Sie, um sich kritisch mit dem Thema Beschneidung an Kindern auseinanderzusetzen?

Eliyahu Ungar-Sargon: Man geht als orthodoxer Jude immer zu Bris, es ist ganz normal und ich habe nie eine Bris gesehen, auf dem die Mutter nicht weint. Aber es gibt eine Art kulturelle Gehirnwäsche, die Bris wird als einer der schönsten Momente im Leben dargestellt.

Als ich in Israel lebte wurde mir als 17-jährigem die ehrenvolle Aufgabe zuteil, meinen Cousin bei der Beschneidung, auch Bris genannt, zu halten. Ich sah erstmals aus nächster Nähe wie der Beschneider den Segen sprach, dann das Baby schnitt, anschließend mit dem Mund den blutenden, verwundeten Penis des Kindes saugte. [Diese Praktik, „metzitzah b'peh“ wird im orthodoxen Judentum immer noch praktiziert.] Danach war eine Spur Blut an seinem Bart. Dies war der Moment, an dem ich angefangen habe, diese Tradition kritisch zu überdenken.

Später ging ich nach Großbritannien um dort Medizin zu studieren und ich setzte mich weiter mit der Anatomie und der Beschneidung auseinander. Beschneidung schädigt, sie entfernt den Großteil der spezialisierten „neuralen Endorgane“.
Beschneidung widerspricht der medizinischen Ethik, da es eine unnötige Operation an einem Patienten, der nicht einwilligungsfähig ist, eine permanente Körper-Modifikation. Ich denke, jeder Mensch sollte davor geschützt sein, das jemand, egal ob Eltern oder jemand anders, ohne ihre Einwilligung solche permanenten Körper-Modifikationen an ihnen vornimmt.

Manche beschnittene Männer sind sehr für die Beschneidung an Kindern und möchten Kritik daran nicht zulassen…

Eliyahu: Jeder geht anders mit Trauma um. Manche Menschen verdrängen es, manche setzen das Trauma fort, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen. Andere setzen sich damit auseinander. Meine Art damit umzugehen ist, Menschen darüber zu informieren, ihnen medizinische Informationen zu geben, ihnen auf mitfühlende, rücksichtsvolle Weise – denn sie sind auch Opfer – neue Informationen zu geben und so Kinder davor zu schützen.

Was ist ihre Meinung zu einem möglichen Verbot?

Eliyahu: So wie ich die Denkweise der orthodoxen Juden sehe, würden sie es auf jeden Fall weiter machen. Ich glaube und mache mir Sorgen darum, das ein Verbot sie in den „Untergrund“ treiben würde und es auf jeden Fall weiterhin gemacht würde.

Wird das orthodoxe Judentum ohne Beschneidung an Kindern verschwinden?

Eliyahu: Nein. Die jüdische Religion hat einen Schatz von spirituellen Lektionen, Wissen das zu erlernen für die Menschheit vorteilhaft ist. Sie wird nicht dadurch aussterben. Sie entwickelt sich weiter.

Ich selbst kann dem Großteil des Humanismus zustimmen, allerdings lehne ich die Religionsfeindlichkeit mancher atheistischer Humanisten ab. Alles Böse auf der Welt den Religionen zuzuschieben, ist intellektuell gesehen einfach nicht korrekt. Alles was die Menschheit tut, hat sowohl positive als auch negative Aspekte. Viele Rabbis haben eine besondere Gabe, Texte vorzutragen und zu interpretieren. Verstehen Sie mich bitte richtig, ich bin einer der größten Kritiker der Religion, aber ich selbst genieße es weiterhin sehr, die Schriften zu studieren und zu lesen. Religion hat wunderschöne Anteile, sie beeinflusst meinen Alltag, zum Beispiel wie ich meine Woche plane. Ich begehe jeden Samstag den Schabbat, einen besonderen Tag. Anders als ich ihn als Kind in Israel beging, dennoch begehe ich ihn. Mein Verhältnis zum Judentum ist fließend und entwickelt sich ständig.

Ihre größten Erfolgserlebnisse im Zusammenhang mit dem Thema sind …

Eliyahu: Die Veränderung der Einstellung meines Vaters zum Thema Beschneidung an Kindern war einer meiner größten Erfolge. Ein wesentlicher Teil des Films „Cut“ zeigt diesen Prozess in dem er und ich uns damit auseinandersetzen. Auch heute teilt er nicht ganz meine Meinung dazu, findet aber das es eine unethische Praktik ist. Mein Bruder wird ebenfalls seine Kinder niemals beschneiden lassen. In der eigenen Familie und im Umfeld so einen Wandel durch Informationen zu erleben, ist sehr befriedigend.

Gibt es noch etwas Wesentliches das Sie den Lesern mitteilen möchten?

Eliyahu: Einer der Gründe wieso ich Beschneidung an Kindern ablehne, ist der Einfluss den diese auf die Sexualität hat, der Penis wird statisch, die Glans die durch die Vorhaut ein inneres Körperteil ist, wird zu einem äußeren Körperteil.

Sexualität wird oft nicht ernst genug genommen und dies von zwei Seiten aus. Wenn man säkular ist, dann ist es „nur Sex“. Es ist ein Vergnügen. Wenn man religiös ist, dann ist es häufig „SEX“ den man fürchten muss. Aber für mich ist Sexualität eine Erfahrung die einem Wunder nahekommt. Ein kleines Wunder.

Aus irgendeinem sonderbaren Grund ist das Universum so strukturiert das, dieser Akt einem anderen Menschen Vergnügen zu bereiten, die Sache ist, die einem selbst am meisten Vergnügen bereitet. Es ist unglaublich. Alles was das unterminiert ist, meiner Meinung nach, sündhaft und einfach falsch.

Danke für das Interview!

Link: Cut: Slicing Through the Myths of Circumcision

 

 

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