Warum wir eine säkulare Moral brauchen
Veröffentlicht am April 30th, 2013 | von Humanist News
30.4.2013, Gastbeitrag. (Volker Dittmar) Das Motto des Deutschen Humanistentags 2013 in Hamburg war »Gut ohne Gott«. Von religiöser Seite wird eingewandt, dass man nur mit Gott eine Moral begründen kann. Als ich dabei war, meine Religion zu verlieren, teilte ich diese Ansicht. Es war mein Grund, noch einige Zeit Mitglied der katholischen Kirche zu bleiben, nachdem ich den Glauben längst abgestreift hatte. Was ist dran an dieser Behauptung?
Begründungen sind nicht gerade die Stärke von Religionen
Um überhaupt Begründungen akzeptieren zu können muss man sich auf die Regeln einigen, die annehmbar sind. Zudem basiert dies auf der irrigen Ansicht, dass Menschen aus Einsicht moralisch handeln. Aber der Serienmörder, der intelligent ist, sieht durchaus ein, dass es falsch ist, wenn man andere Menschen umbringt. Das hindert ihn aber nicht an seinen Handlungen. Menschen handeln häufig ohne Einsicht oder gegen ihre Einsicht. Wäre dem nicht so, die Psychotherapeuten wären alle arbeitslos.
Es gibt eine alte Weisheit, die besagt: Gesagt ist nicht gehört. Gehört heißt nicht verstanden. Verstehen impliziert nicht, einverstanden zu sein. Einverstanden zu sein bedeutet nicht, so zu handeln. Man könnte noch hinzufügen: Ernsthaft und glaubwürdig zu behaupten meint nicht, dass es wahr ist.
Das gilt vor allem auch für die Regeln einer Begründung. Nun spielen logische Rechtfertigungen innerhalb der meisten Religionen eine denkbar geringe Rolle. Religiöse glauben heißt nicht, über eine vernünftige Bewandtnis zu verfügen. Denn dann nennt man es Wissen. Daher lautet der Kern der theologischen Moralbegründung auch:
Der Kern der theologischen Moralversprechungen
Weil ich glaube, dass etwas der Fall ist, sollst Du dementsprechend handeln.
Dem liegt ein völlig fremdes Moralverständnis zugrunde: Moral ist etwas, was eine Autorität gebietet. Wenn diese davon überzeugt ist, dass ihre Wertvorstellungen von einem göttlichen Führer kommen, dann ist diese Sittenlehre begründet.
Aber eine Kette von Begründungen ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Fangen wir am Beginn an: Keine auf Gott gegründete Ethik kann besser sein als der Beweis seiner Existenz. Damit steht es aber, wie auch Theologen zugeben, sehr schlecht. Der nächste Punkt ist, dass man eine Moral nur von einem guten Gott akzeptieren könnte. Dagegen steht aber das Theodizeeproblem. Solange Christen das nicht lösen können, kann man auch an der Güte Gottes zweifeln. Dann ist da noch Euthyphrons Dilemma, wenig bekannt und stark ignoriert. Entweder, Gottes Moral ist eine Frage der Willkür. Dann könnte er gebieten, dass es richtig ist, kleine Kinder zum Vergnügen zu foltern und zu töten. Wer sagt, dass ein guter Gott so etwas niemand gebieten würde, der behauptet zugleich, dass moralische Maßstäbe unabhängig von Gott existieren.
Begründungen ohne Logik?
Darüber schwebt immer noch das Damoklesschwert der Regeln der Begründung: Wenn auf diese Einlassungen ein Christ argumentiert, dass sein Gott nicht der Logik unterliegt, dann ist damit jede Begründung ohnehin komplett zerstört. Ohne die Anerkennung der Logik existiert so etwas wie eine »Begründung« nicht.
Sollte man alle diese Probleme lösen können, wobei das Theodizeeproblem und Euthyphrons Dilemma sehr viel älter als 2.000 Jahre sind, dann ergeben sich aber noch weitere schwere Hürden. Woher will man wissen, dass bestimmte Gebote einen göttlichen Ursprung haben? Es ist gleichgültig, welche Debatte man auch verfolgt, ob es um Sklaverei geht, oder Homosexualität, oder die Gleichberechtigung von Frauen, oder die Todesstrafe, oder die Stammzellenforschung, oder die Abtreibung oder andere »heiße Eisen«: Stets findet man Christen aller Art auf beiden Seiten der Diskussionen, dafür wie dagegen. Deswegen können sie ja auch stets behaupten, dass es Christen waren, die auf der Siegerseite in solchen Kontroversen standen. Da findet man immer welche, der Rest hat sich eben über die Ethik des Schöpfers geirrt.
Tatsache ist – also wissenschaftlich bewiesen – dass Gläubige stets ihre eigene Meinung für die ihres Gottes halten. Das gilt auch, wenn sie ihre Meinung ändern, siehe hier.
Vorbedingung der Moral ist das autonome Subjekt
Seit Kant wissen wir außerdem, dass Moral ein autonomes Subjekt voraussetzt. Handeln unter Zwang ist nicht ethisch verantwortlich. Wenn ein Gott mit der Hölle droht und Gebote einsetzt, handelt man nicht tugendhaft, wenn man denen folgt. Man folgt einer Erpressung. Dasselbe gilt, wenn man einer Belohnung folgt, die in keinem Verhältnis zum Aufwand steht – etwa die Verheißung eines ewigen Lebens. Eine moralische Entscheidung kann man nicht delegieren, man muss sie selbst treffen. D. h., man benötigt, um das tun zu können, unabhängig von Gott existierende Wertvorstellungen.
Ich sagte zu Beginn schon, dass Theologen ein fremdes Moralverständnis haben. Ethik ist nicht eine Sammlung von Ge- und Verboten, die ein himmlischer oder irdischer Führer erlässt. Vielmehr ist Moral ein Verfahren, mit dem wir die Probleme unseres Zusammenlebens zu lösen suchen. Die beste Begründung, die man für eine Moral überhaupt haben kann, lautet schlicht: Darauf haben wir, die von dem Problem Betroffenen, uns geeinigt.
Eine kleine Analogie: Die Regeln eines Fußballspiels sind durchaus mit moralischen Gesetzen vergleichbar. Sie regeln die Konflikte, die in einem Spiel auftreten. Niemand kann so genau sagen, wieso die Abseitsregel so und nicht anders gilt. Man muss das auch nicht begründen. Man muss sich nur darauf geeinigt haben. Vieles ist Tradition und unterliegt der Wandlung und ist kulturell bedingt. In Japan zieht man die Schuhe aus, bevor man ein Haus betritt, in Deutschland nur auf Wunsch der Hausdame. Einige Regeln haben sogar eine biologische Grundlage und sind bei allen Menschen gleich, etwa die Ansicht, dass kleine Kinder moralisch nicht voll verantwortlich sind.
Wenn die christliche Moral zudem so gut wäre, wie behauptet, dann hätte es die vielen moralischen Probleme der Kirche früher nicht geben dürfen, jedenfalls nicht in dem Umfang. Außerdem gibt es keinerlei Beweise dafür, dass christliche Menschen besser handeln als etwa Atheisten, selbst wenn man christliche Maßstäbe anlegt. Ein Beispiel: Nach christlichen Maßstäben in den USA ist Scheidung etwas Schlechtes. Trotzdem haben Atheisten in den USA als Gruppe die geringste Scheidungsrate.
Die Kette theologischer Moralbegründung
Man könnte also sagen: Um die Behauptung akzeptieren zu können, dass eine göttlich fremd bestimmte Moral besser ist als eine säkulare Moral, müsste man die folgende Kette durchgehen:
Beweise, dass Gott existiert. Beweise, dass er gut ist. Beweise, dass die moralischen Maßstäbe von ihm stammen und nicht unabhängig von ihm sind, ohne willkürlich zu sein. Beweise, dass Dein Gott diese Gebote auch wirklich erlassen hat, ohne selektiv auszusuchen, was Du davon akzeptierst und was nicht. Beweise, dass diese Moral nicht unsere Autonomie verletzt und etwa aus Erpressung besteht. Beweise, dass diese Moral bei denen, die an sie glauben, tatsächlich zu einem besseren Handeln führen.
Der Bezug auf das Naturrecht etwa der katholischen Kirche nützt nichts. Weil man damit keine Ethik begründen kann, ohne einen naturalistischen Fehlschluss zu begehen.
Fazit
Sagte ich zu Beginn, dass eine Kette nur so stark sein kann wie ihr schwächstes Glied? Es scheint eher so zu sein, dass jeder Teil der Begründungskette äußerst schwach ist und nicht halten kann, was die Theologen versprechen. Angesichts dessen haben wir überhaupt keine andere Wahl als eine selbstbestimmte, auf Absprache und Einigung basierte säkulare Moral aufzustellen. Und solange man nicht beweisen kann, dass Gott existiert und die ihm zugesprochenen Ge- und Verbote erlassen hat, solange ist auch die theologische Moral in Wahrheit säkular. Dass sie göttlichen Ursprungs ist, ist eine Behauptung, die nur dem Zweck dient, sich einen unfairen Vorteil in der Wertedebatte zu erschleichen. Kurz, die Andienung einer solchen Moral ist selbst schon ein unmoralischer Akt und daher indiskutabel.