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“Sei doch amoi a bissl progressiv!“


Interview Portrait-Julian

Veröffentlicht am Juni 21st, 2012 | von Cahit Kaya

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Mit diesem Motto bewirbt VANGARDIST sein Online Magazin. Mit dem Aufruf zu sein was man ist, zu leben wie man will, sein Leben einfach individuell gestalten zu dürfen. Homo-, bi-, aber auch heterosexuelle Männer sollen damit erreicht werden und an der des VANGARDIST kann man auch erkennen, dass dem Team um Chefredakteur Julian Wiehl dies durchaus gelingt. Aktuell ist die 25. Ausgabe des VANGARDIST online und auf der eigens dafür entwickelten APP erhältlich.

Das Interview mit Chefredakteur Julian Wiehl führte Cahit Kaya.

Foto Julian Wiehl

Humanist News: Vor einigen Tagen war die Regenbogenparade in Wien: warst du dabei?

Julian Wiehl: Leider musste ich arbeiten. Aber ich finde es wichtig, dass man dabei ist um ein Zeichen zu setzen. Liberales Gedankengut ist leider auch heute noch sehr gefährdet. Wenn man es nicht pflegt und kultiviert wandert die Gesellschaft wieder zurück. Dies schein ein generelles Phänomen zu sein.

Du bist homosexuell, wie fühlst du dich?

Julian Wiehl: Was meine Homosexualität betrifft fühle ich mich sehr wohl, und denke darüber nicht oft nach auch wenn es ein Thema ist, das mich ein Leben lang begleiten wird. Aber das Outing vor 10 Jahren war der erste Schritt zum Wohlfühlen. Weil wenn man keine Geheimnisse hat, lebt es sich einfach entspannter. Unterdrückte Geheimnisse jeder Art sind nicht gesund und können zu Krankheiten führen und zahlreiche Spannungen verursachen.

Hast du dich auch schon in Mädchen verliebt?

Julian Wiehl: Als Kind und Jugendlicher war ich schon auch in Mädchen verliebt. Daher kann ich sagen, es gibt überhaupt keinen Unterschied einen Mann zu lieben wie eine Frau. Die Gefühle als Homosexueller sind genau gleich wie die von Heterosexuellen. Nur dass sich deine Gefühle um Männer drehen. Das ist eigentlich etwas sehr spannendes, denn für einem selbst macht es keinen Unterschied. Nur von außen sieht es anders aus, wenn man es nicht gewohnt ist.

Du fühlst dich also nicht “krank”? Besonders streng religiöse Menschen behaupten gerne, Homosexualität sei eine Krankheit.

Julian Wiehl: Natürlich nicht. Ich fühl mich gesund und möchte auch nicht tauschen. Man kann Homosexualität auch nicht ändern. Diese Vorstellung ist sehr absurd. Das ist wie Kindern das zum Essen zu geben, was sie nicht mögen. Da speiben sie sich lieber an, als dass sie es essen. Man kann sie natürlich auch zwingen. Aber die psychologischen Folgen sind dann meist gravierend. Menschen, die in der Kindheit zu Dingen gezwungen wurden, dürfen dann meistens zahlreiche Stunden bei Therapeuten verbringen um sich wieder normal zu fühlen. Manche leiden ihr Leben lang an den Folgen.

Am Stephansplatz gab es am selben Tag der Regenbogenparade eine Demo fundamentalistischer Christen: Wie gehst du mit solchen Menschen um?

Julian Wiehl: Ich persönlich bin kein Fan von solchen Menschen. Wir leben in einer Welt, in der sich jeder sein eigenes Leben aussuchen kann, solange niemand anderer dabei zu Schaden kommt. Ich verstehe nicht, wie manche Menschen immer für andere Entscheidungen treffen wollen. Wenn sie glücklich sind mit ihrem Weg (zu Gott), dann sollen sie das gerne feiern. Da wird ihnen niemand im Weg stehen. Aber sich über andere Menschen zu ärgern, die ihr Glück gefunden haben ist sehr kleinbürgerlich und unreif. Die meisten Menschen leben leider in Zwangsvorstellungen. Sie glauben, das was  als Kind, in der  Schule oder im Studium gelernt haben, hat einen Wahrheitsgehalt. Meistens zeigt uns das Leben, dass die Realität nicht immer der Theorie und Vorstellung folgt.

So kennen die meisten ja nur die Bibel durch Interpretationen. Für mich war Jesus, zumindest so wie es in der Bibel steht ein Revoluzzer gegen das orthodoxe Establishment. Würde er heute in Österreich geboren werden, wäre er sicher gegen die konservativen Strömungen der katholischen Kirche und würde sich den ungehorsamen Priestern anschließen. Auch das Gold in den Kirchen wäre ihm wahrscheinlich ein Dorn im Auge. Die meisten dieser Menschen sind eben böse gesagt „Klugscheißer“ oder „Moralapostel“.

Man sagt, besonders homophobe Menschen versuchen so ihre eigene Homosexualität zu unterdrücken. Ist dieser Gedanke abwegig?

Julian Wiehl: Oftmals befindet sich hinter homophoben Aussagen unterdrückte Homosexualität. Es gibt sogar eine Studie dazu, in der homophobe Männer von Männern wiederum sexuell erregt werden. Wer hier geheilt werden möchte, sollte in seiner Vorstellung anfangen und sich so akzeptieren wie er ist. Das ist wohl der einzige Weg der Heilung. Gerade mit sich selbst braucht es eine gute Portion Toleranz.

Wie aufgeschlossen ist die Gay-Community?

Julian Wiehl: Auch wenn die Homosexuellen keine homogenen Gruppe sind, empfinde ich sie zu einem großen Teil als eine sehr aufgeschlossene Gesellschaft. Hier spielt zum Beispiel das Thema Herkunft keine so große Rolle. Es gibt dafür andere Strömungen und Trends die man sicher hinterfragen kann. Ich bin ja für eine kritische und reflektierte Gesellschaft, die ständig im Wandel und in Entwicklung ist. Das muss sich auch die Community gefallen lassen.

Ich finde aber auch, dass das Wort Gay Community eher trennend wirkt. Hier werden durch einen Begriff Menschen zusammengefasst, die bis auf ihre sexuelle Orientierung nichts gemeinsames haben. Somit wird eine künstliche Identität geschaffen, die Menschen von einander abgrenzt. Niemand würde sagen, dass brünette Menschen etwas gemeinsames haben. Hätten Brünette aber nicht die selben Rechte, wäre es plötzlich eine Gruppe mit einer Identität und einem gemeinsamen Schicksal.

Wirst du im Alltag diskriminiert?

Julian Wiehl: Ich lebe sehr offen und hatte, bis auf eine Ausnahme noch nie ein Problem. Wir sind zwar nicht katholisch, aber meine Familie feiert auch mit meinen schwulen Freunden und Partnern Weihnachten und schätzt sie als Teil der Familie. In meinem Job muss ich mich als Vertreter eines liberalen Magazins bei vielen Firmen outen und das war am Anfang schon eine gewisses Hemmnis. Aber ich hab mich daran gewöhnt. Es ist am Anfang recht ungewohnt mit Leuten, die man noch nie gesehen hat so persönlich zu sein. Diese persönliche Ebene wird aber auch als Vertrauensbeweis gesehen, der einem dann auch enger zusammen schweißen kann. Was für das Geschäft auch sehr gut ist.

Einmal wurde ich auf der Straße bespuckt. Das war sehr irritierend und ich kann verstehen, wie sich Leute fühlen denen das ständig passiert. Diese Fälle zeigen, dass es wichtig ist, dass man für gleiche Rechte einsteht. Alle politischen- und religiösen Repräsentanten sollten deshalb die ihnen gegebene Verantwortung ernstnehmen.

Solange sich Jugendliche das Leben nehmen weil sie als Homosexuelle gemobbt werden,
machen sich ungeoutete Politiker und Priester auf jeden Fall mitschuldig.

Ich lebe zum Glück in einem sehr liberalen Umfeld. Leider sieht die Situation in manchen ländlichen Regionen, in machen religiösen oder konservativ-bürgerlichen Familien etwas anders aus. Aber im Prinzip ist das immer von den einzelnen Menschen abhängig und nicht von der Zugehörigkeit zu einem Milieu.

Wir beide sind in Vorarlberg aufgewachsen. Ein doch eher konservatives Bundesland in Österreich. War das ein Problem und sind die Menschen in Wien anders bei Homosexualität?

Julian Wiehl: Also traurig ist sicher, dass es in Vorarlberg zu meiner Zeit kaum Möglichkeiten gab, gleichaltrige, schwule Kollegen zu treffen. Dating Plattformen und das Internet waren 2002 nicht so etabliert wie heute. Es gab auch keine schwulen Clubbings. Ich glaube, das ist ein sehr wesentlicher Bestandteil, der in diesen Regionen noch gefördert gehört. Auch damit keine Dummheiten gemacht werden zB. Blind Dates auf einer Autobahn Raststätte mit wildfremden zum Teil viel älteren Männern. So etwas habe ich zum Glück nie unternommen.

Durch reden mit gleich fühlenden Kollegen ergibt sich dann auch eine gesunde Selbstakzeptanz. Das hat mir als Jugendlicher sicher gefehlt. Man fühlt sich als Außenseiter oder etwas einsam. Allerdings hatte ich in meinem Fall viele  Freundinnen und Freunde mit denen ich über alles reden konnte und für die das nie ein Problem dargestellt hatte.

Gibt es in homosexuellen Beziehungen “klassische” Geschlechterrollen?

Julian Wiehl: Ich glaube, man muss das verallgemeinern. Es gibt sowohl bei Heterosexuellen wie auch bei Homosexuellen aktivere und passivere Charaktere und welche, die sich irgendwo dazwischen befinden. Bei beiden muss die Chemie und die Energie passen. Wenn sich keine Dynamik ergibt, vor allem in der Sexualität, dann steht die Beziehung auf schwierigen Beinen.

Reizthema eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften.

Julian Wiehl: Ich bin der Meinung, dass gerade konservative Menschen Befürworter der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft sein sollten. Eben aus dem Grund, weil dort das langfristige Zusammenleben betont wird. Die Alternative sind unverbindliche Beziehungen. Etwas das den Konservativen auf lange Sicht eigentlich mißfält. Oder man lebt eine Lebenslüge mit einer Frau um der Norm zu entsprechen. Davon gibt es in den vorangegangenen Generationen genug traurige Beispiele.

Du bist Herausgeber einer Zeitschrift: Vangardist Magazin. Worüber wird in der Zeitschrift berichtet?

Julian Wiehl: VANGARDIST ist ein Online Magazin für progressive Männer. Wir versuchen durch Inklusion verschiedenste Lebenskonzepte zu portraitieren. Durch Reportagen über Pansexualität oder Sapoisexualität präsentieren wir auch ganz neuartige Themen abseits von Homosexualität. Es geht um Selbstfindung und in Folge um Selbstaudruck. Dafür gibt es die Rubrik „Fassade“ für Mode, Style und aufwändigen Fotoshootings. In der Mode braucht man ebenso den Mut sich nach seinem eigenen Geschmack anzuziehen und muss den Blicken der Passanten standhalten.

Dritte Säule sind dann die Portraits von Lebenskünstlern und Vorbilder. Menschen, die dem eigenen Instinkt gefolgt sind und dadurch eben erfolgreicher wurden als andere oder einfach nur glücklch geworden sind. Inzwischen haben wir 10.000 Unique User und eine eigene iPhone und iPad App. Täglich erreichen wir mehr und mehr Leute, die unseren liberalen Zugang teilen. Interessanterweise werden wir zu fast 30%  von Frauen gelesen, was uns sehr freut.

Danke für das Interview!

 

Tags: homophobie,


Über den Autor

Cahit Kaya

Früher war ich Moslem, heute bin ich Humanist. Meine Schwerpunkte: Islam, Menschenrechte und Migration. Ich engagiere mich auch für die Initiative Ex-Muslime www.exmuslime.at



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