Ist weibliche Genitalverstümmelung und männliche “Beschneidung” vergleichbar?
Veröffentlicht am Dezember 14th, 2012 | von Humanist News
1Ein Gastartikel von Stefan Schritt
In den Erklärungen der Befürworter des grade verabschiedeten Gesetzes zur Legalisierung der Knabenbeschneidung ist dieser Tage immer und immer wieder, geradezu Gebetsmühlenartig, die Behauptung wiederholt worden, man könne die weibliche Genitalverstümmelung in keiner Weise mit der männlichen “Beschneidung” vergleichen.
Da mag man sich wundern und fragen, ob die fleißigen Schreiber ihre ganze Energie nur aufs Tippen verwendet haben, statt sich mit den grundlegenden medizinischen Tatsachen auseinander zu setzen. Denn es ist ja schon lange kein Geheimnis mehr, daß bei der Amputation der Vorhaut rund 20.000 Nervenenden und mit ihnen ca. 70% des gefühlsempfindlichen Gewebes das Zeitliche segnen.
Erst auf den zweiten Blick offenbart sich die Logik, die dieser Behauptung zugrunde liegt. Denn die eifrigen Verfechter der MGM sehen hier nicht die medizinische Seite, sondern lediglich die religiöse. Und hier kann man in der Tat einen Unterschied feststellen. Denn während die FGM ihren Hauptzweck in der Unterdrückung weiblicher Sexualität hat, wird der MGM primär ein positives Motiv zugeschrieben – ein Bund mit Gott oder optische Ähnlichkeit mit dem Propheten.
Es Offenbart sich somit der streng religiöse Fokus der Befürworter. Hier wird geurteilt nach der Motivation, nicht nach der eigentlichen Tat. Einem Mann die sexuelle Lust zu nehmen ist vorbildlich, denn man tut es ja aus vermeintlich positiven Gründen. Bei der Frau ist das anders, denn ihr nimmt man die Lust ja aus Selbstzweck.
Damit wird das religiöse Motiv in seinem Wert weit über die körperlichen Konsequenzen gestellt, ja mehr noch, es macht sie für die Befürworter zum allein entscheidenden Kriterium. Solange man es nur gut genug meint, ist es völlig egal, welchen Schaden man damit anrichtet.
Diese Argumentation ist ein Kasatschok auf dünnstem Eis. Denn daß Eltern ihre Kinder lieben, und nur ihr Bestes wollen, kann man – von Ausnahmefällen einmal abgesehen – als gegeben voraussetzen. Doch wer sich auf dieser Schiene zu fahren entscheidet, dürfte es schwer haben, andere gut gemeinte Taten der Elternschaft zu kritisieren. Wer seinem Kind einen Klaps auf den Po gibt, tut dies ja nicht aus Hass heraus, sondern um dem Kind den Zusammenhang zwischen verursachtem Unrecht und den daraus zu tragenden Konsequenzen beizubringen. Das Kind z.B., daß das Spielzeug seiner Geschwister mutwillig zerstört, muss sich den Folgen stellen – so, wie ein erwachsener Dieb ins Gefängnis muss.
Letzteren Denkansatz haben wir vor Jahren verworfen, weil wir erkannten, daß das Motiv – also die Vermittlung von Gerechtigkeit als Erziehungsziel – trotz aller Vorbildlichkeit nicht die Tat – also die körperliche Bestrafung – rechtfertigt. Die Züchtigung ist geächtet, ungeachtet des Motivs.
Wer nun Amputationen von genitalem Gewebe alleine anhand des Motivs zu bewerten versucht, und die unvermeidlichen körperlichen sowie die möglichen seelischen Folgen dabei nicht zur Kenntnis nimmt, geht mehr als nur einen Schritt rückwärts. Die “gering invasiven” Varianten der FGM, die “nur” einen Einschnitt oder einen Einstich beinhalten, sind aus medizinischer Sicht weit weniger gravierend als die Amputation der Vorhaut, geht doch bei ihnen kein sexuell bedeutsames Gewebe verloren.
Sich mit aller Macht einer Vergleichbarkeit der FGM mit der MGM zu verweigern, ist nichts weiter als die Ablehnung medizinischer Tatsachen – mit dem Ziel, religiöse Motive von den aus ihnen resultierenden körperlichen Veränderungen abzukoppeln, weil man sie sonst nicht mehr guten Gewissens gutheißen könnte.
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