Die atheistische »Mission«
Veröffentlicht am Mai 13th, 2013 | von Humanist News
13.5.2013, Gastbeitrag. (Volker Dittmar) Es wird immer wieder gerne der Vorwurf erhoben, dass es einen militanten, atheistischen Fundamentalismus gäbe, der die Leute missioniert und doch »nur ein Glauben« sei. Damit wird vor allem der sog. »neue Atheismus« in Verbindung gebracht. Was ist da dran?
Militanz ist definiert als die Anwendung physischer Gewalt
Wikipedia sagt: Militanz ist eine kriegerische Haltung, ein aggressives Auftreten oder eine physische oder verbale Gewaltbereitschaft von Personen und Gruppen im Kampf für bzw. gegen politische oder religiöse Überzeugungen.
Aber es wird auch im Zusammenhang mit Personen benutzt, die über eine stark verfestigte Meinung verfügen. Damit wird der Begriff verwässert, aber das kommt häufiger vor. Insofern kann man das akzeptieren, es dient natürlich dem Ansinnen, den Atheismus auf dieselbe Stufe zu stellen wie die Religion. Dazu dient auch das Wort »Fundamentalismus«, der allerdings auch in erster Linie Auffassungen meint, die auf einer Letztbegründung basieren. Das kann man aber dem Atheismus nur schwerlich vorwerfen.
Auch der Ausdruck »Mission« im religiösen Sinne passt schlecht auf den Atheismus, weil damit in erster Linie ein religiöser Auftrag gemeint ist, meist von großen Organisationen. Aber in jedem Fall ist das Ausdruck der Ansicht, dass Atheismus »auch nur ein religiöser Glauben sei«. Damit erfolgt eine Gleichsetzung von Religion und Atheismus. Dies wird übrigens keineswegs ausschließlich von gläubiger Seite geäußert, sondern auch von liberalen Atheisten, Agnostikern oder Humanisten.
Der sprachliche Trick der Gleichsetzung
Diese begriffliche »Gleichschaltung« von Religion in seiner gewaltsamen Form und einem rein verbal agierenden Atheismus sehe ich sehr kritisch. Man tut weder sich noch anderen einen Gefallen damit, Begriffe bis zur Ununterscheidbarkeit zu verwässern, um damit eine andere Position zu diskreditieren. Begriffe dienen der Unterscheidung, ansonsten verlieren sie ihren Sinn.
Es gibt einen Unterschied zwischen »Mission« und »Aufklärung«. Aufklärung, auch über religiöse Ansichten, ist ein Teil der humanistischen Agenda, ebenso wie die Propagierung von Wissenschaft und Rationalität. Es ist kein Wunder und kein Zufall, dass der Humanismus immer meist mit Religionskritik einherging. Denn die organisierten Religionen, namentlich die römisch-katholische Kirche, waren den säkularen, humanistischen Werten immer entgegengesetzt. Erst seit man die Schlacht gegen einen liberalen, demokratischen, sozialen, aufklärerischen, auf Rationalität und Wissenschaft basierenden Humanismus verloren hat, bemüßigt man sich, sich selbst an die Spitze der Bewegung zu setzen, gegen die man zunächst opponiert hat. Wenn man schon nicht tatsächlich einen Gleichstand erreicht hat, dann kann man dies wenigstens durch die Verwässerung der Begrifflichkeiten erreichen.
Organisierte Religion ist Teil der Gegenaufklärung
Aber solange eine Kirche nach innen nicht demokratisch, sondern totalitär organisiert ist, die allgemeinen Menschenrechte nicht akzeptiert, Frauen und Homosexuelle diskriminiert und darauf beharrt, dass alle Werte rein göttlicher Natur sind, sind Humanismus und Religion ein Gegensatz. Humanismus sieht den Menschen im Zentrum aller Werte, Kirchen bauen auf Gott auf. Das bedeutet in Wahrheit natürlich: Auf den Ansichten, die Kleriker für richtig halten und die sie dadurch verstärken, dass sie sich auf ein imaginäres Wesen berufen, von dem niemand weiß, wie dessen Auffassungen sind. Das ist der Versuch, verbal gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen, der zentral für die humanistische Position steht.
Religiöse Mission versucht, die Interessen einer selbst ernannten Elite in einer Gesellschaft durchzusetzen, auch auf Kosten derjenigen, die mit dem Glauben nichts zu tun haben. Zentraler Bestandteil ist, dass es eine (klerikale) Gruppe gibt, die alleine deswegen einen erhöhten Einfluss auf die öffentliche Moral und damit die Gesetzgebung haben sollte, weil sie einen bestimmten Glauben haben. Dieser Glauben jedoch ist rational nicht gerechtfertigt.
Das Gegenteil von Mission ist Aufklärung
Aufklärung ist das genaue Gegenteil: Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen. Hiermit wird eine Position vertreten, die auf Rationalität setzt, auf Transparenz. Niemand weiß oder kann wissen, was Gott will, aber jeder kann nachvollziehen, was sich rational rechtfertigen lässt und was nicht. Das setzt auf Gleichheit in der Meinungsbildung, ist antielitär, demokratisch, kritisch und daher alleine kompatibel zum Humanismus. Ich will nicht behaupten, dass Atheismus per se zur Aufklärung und zum Humanismus gehört, nicht einmal dann, wenn er sich ein humanistisches Etikett aufklebt (Stichwort Kommunismus).
Man mag es kritisieren, dass einige Atheisten – dazu rechne ich mich auch – sich in erster Linie mit Religionskritik befassen. Das ist eine Form der Einseitigkeit. Aber in einer komplexen Gesellschaft ist eine Spezialisierung unerlässlich. Jeder sollte die humanistischen Werte in der Form vertreten, die für ihn persönlich wichtig sind, und die seinen Fähigkeiten und seinem Wissen entsprechen. Es ergibt einfach keinen Sinn, von jedem zu verlangen, dies auf die gleiche Art und Weise zu tun. Niemand erwartet von einem Mathematiklehrer, dass er auch Deutsch, Englisch und Sport in seinem Unterricht lehrt. Ein Mathematiklehrer propagiert auf seine Weise logisches Denken, ein Philosophielehrer auf andere, und beides ergänzt sich. Wenn man eine Bewegung zur Propagierung von Rationalität spalten will, dann spielt man das gegeneinander aus.
Gegenaufklärung kommt in vielen Varianten vor: Religion, Esoterik, Homöopathie, Astrologie, Kartenlegen und tausend anderen Versionen.
Aufklärung liefert das Rüstzeug, alle diese Obskurantisten an ihrer Schwachstelle anzugreifen. Wenn ich beispielsweise auf Denkfehler in der Religion hinweise, und Logik als ein Mittel zur Überwindung dieser Fehler empfehle, dann ist dies auch dazu geeignet, gegen Astrologie vorzugehen. Ich käme nie auf die Idee, einem Kritiker der Astrologie Einseitigkeit vorzuwerfen, weil er sich darauf spezialisiert hat. Sondern ich sehe mit Freuden, dass sich da noch jemand die Verbreitung rationaler Methoden auf die Fahne geschrieben hat. In öffentlichen Angelegenheiten kann es kein »Zuviel« an Rationalität geben.
Aufklärung statt Mission
Was wir betreiben ist Aufklärung und keine Mission. Wir liefern die Mittel, obskure Ansichten zu kritisieren und seinen eigenen, gesunden Menschenverstand zu benutzen. Das ist das exakte Gegenteil von dem, was der Papst empfiehlt, wenn er die allgemeine menschliche Vernunft verteufelt, wie gerade kürzlich geschehen. Es ist ein Unterschied, ob ich jemandem zeige, mit welchen Mitteln man ein Haus bauen kann, das seinen Bedürfnissen dient, als wenn ich versuche, ihm eine fertige Hütte zu vermieten. Mit letzterem kann man mehr Geld verdienen.
Wir sollten es nicht zulassen, dass man Aufklärung und Mission auf dieselbe Stufe stellt, um so einen Keil zwischen humanistische Atheisten und atheistische Humanisten zu treiben.Denn das geschieht, wenn man religiösen militanten Fundamentalismus auf dieselbe Stufe stellt wie eine atheistische Aufklärung und Religionskritik, die auch im humanistischen Sinne ist. Jeder, der Rationalität propagiert, ist mein Verbündeter. Ich kann nur hoffen, dass die Mehrheit der Humanisten das bei aller sonstigen Differenz auch so sieht. Sonst begeben wir uns auf das Niveau »judäische Volksfront versus Volksfront von Judäa«.